Die Wahrsagerin
Als Realist habe ich mit Wahrsagerei, Hellsehern, Esoterik und ähnlichen mystischen Praktiken nichts am Hut. Für mich sind das alles nur Humbug und eine reine Täuschung. Zudem wird damit oft nur das Geld der gutgläubigen Menschen gemacht.
Es war am Anfang des Jahres 1998. Es kommt mir vor, als wäre es erst gestern gewesen. In unserer Stadt gab es einen kleinen Zirkus, dessen Mitglieder von Tür zu Tür gingen und vorgaben, selbstgemachte Deckchen zu verkaufen. Ich war in meinem Laden, als eine Dame hereinkam, die offensichtlich durch ihre Kleidung als Zigeunerin zu erkennen war. Sie bot mir geschickt und wortgewandt ein Deckchen an und sagte, es sei für 5 DM zu haben, angeblich um Futter für die Tiere zu kaufen. Bin eigentlich eine recht resolute Person, aber ich kam nicht gegen sie an. Um Sie aus dem Laden zu bekommen, kaufte ich Ihr ein Deckchen ab und dachte jetzt hab ich meine Ruhe. Falsch gedacht.
Als sie den Laden verließ, wollte sie mir zum Abschied die Hand schütteln. Ich war eigentlich dagegen, aber ehe ich mich versah, hatte sie meine Hand gepackt, umgedreht und fing an, die Linien zu lesen. Ich hätte es abwehren sollen.
Sie erklärte mir dann, was sie in meiner Handfläche sah.
"Sie haben drei Männer in Ihrem Haushalt. Einer von ihnen wird das Jahresende nicht überstehen."
Ich schob diese Worte weit weg in meinem Kopf und versuchte, sie zu vergessen, was mir jedoch nicht gelang. Besonders, weil ich selbst nicht verstand, warum ich darüber überhaupt nachdachte, da ich nicht an solche Dinge glaubte.
Ich hatte einen Ehemann und zwei fast erwachsene Söhne, von denen einer gerade dabei war, seinen Führerschein zu machen. Immer wieder kamen mir schreckliche Szenarien in den Sinn. Aber ich wollte mit niemandem darüber sprechen.
Ich war sehr beschäftigt, und die Zeit flog nur so dahin. Der Sommer kam, und es war Urlaubszeit. Weil ich so viel zu tun hatte, wurde entschieden, dass mein Mann mit unserem Sohn und der Freundin unseres zweiten Sohnes sowie deren kleinem Sohn schon einmal vorausfahren sollte. Da unser Ziel eine wunderschöne Küstenregion in Süditalien war, die wir schon seit Jahren besuchten, war geplant, dass ich nach Beendigung meiner Arbeit nachfliegen würde. Ich sollte dann in Neapel abgeholt werden. Das war der Plan.
Am 3. Juli 1998 erhielt ich den Anruf...
Mein Mann war in der Nacht auf dem Campingplatz verstorben. Es stellte sich heraus, dass er im Schlaf einen Herzinfarkt erlitten hatte. Er war gerade 52 Jahre.
Zum Thema Wahrsagen: Nie wieder möchte ich etwas von einem Wahrsager hören. Ich möchte nicht wissen, was morgen passiert.